Die göttliche Verdauung, Transformation mal anders

Kali, die Göttin der Transformation und ganzheitlichen Verdauung

Heute ist mein Geburtstag. Darum mache ich mir selbst ein kleines Geschenk und schreibe über die indische Göttin Kali und – natürlich – ihre Verdauung. Die hat eine Menge mit Loslassen zu tun. Warum Kali Arsch in der Hose hat und warum das gut zu einem Ritual am Jahresende passt, erfährst Du hier.

Kali kam, glaube ich, im Winter 2004 zu mir. In dem Seminar `Indische Göttinnen´. Bis dahin habe ich mich in Indien auf mikrobischer Suche nach buddhistischen Spuren befunden. Buddha war nonplusultra, wozu mich also mit indischen Göttern rumschlagen? Doch nun war sie da: blutig, wild und entrückt. Und mein Grundstein war gelegt für Kalkutta-Vision, Kali-Hype und den unendlichen Trip in „indische“ Verdauungsgeschichten aller Art. (Das ist durchaus bildlich gemeint.)

Wer ist Kali?

Kali-Puja Durga-Puja kali-verehrung bengalen copyright by julia wunderlich 1
Kali, Kraft der Transformation.

Kali ist eine zentrale Göttin im hinduistischen Kanon. Du findest sie überall in Indien. Vor allem in Bengalen streckt sie Dir dicht und beständig ihre blutrote Zunge entgegen.

Wenn Du in Kalkutta den Kalighat-Tempel besuchst, siehst Du nichts, denn gold-rot und wild. Riesenhafte Augen und diese ewige Zunge, eingerahmt in prächtige, rote Hibiskusgirlanden. Um Dich schiebende Körper, Enge, Schweiß, Dunkelheit.

Kali, die Dunkle

Kali wurde aus dem Zorn der Durga heraus geboren. Durga symbolisiert (wie Kali) zentrale weibliche Kraft im Hinduismus, auch Shakti. Sie ist Energie-Konglomerat männlicher Hindu-Götter. Mit deren Waffen gerüstet, auf einem gewaltigen Löwen reitend, besiegt sie jeden Dämon. Bis auf einen. Dieser fordert Durga so sehr heraus, dass sie Kali gebiert. Aus ihrer Stirn heraus. Kali, mit Schlangen um den schwarzen Hals gewunden, mit einer Kette aus klappernden Schädeln, tobt in Wut und Schrecken und besiegt letztlich den Dämon. Sie ist unsagbar stark, ohne dabei stolz oder eitel zu sein.

Kali, die Schwarze. Sie tanzt auf Verbrennungsplätzen. Nackt. Blutig. Laut. Extrem. Anti-Orthodox. Sie ist furchteinflößend, anzüglich, ohne „Scham“. Sie lacht jeglicher Gefahr ins Gesicht.

Kali ist Aktion

kali puja in kalkutta copyright by julia wunderlich
Kali-Puja in Kalkutta, mobile Schreine überall.

Was soll ihr Zorn? Was der Geruch des Todes, der ihr anhaftet?

 Ihre Wut ist Motor für die Kraft, das Dunkle zu besiegen. Sie bezwingt das Furchteinflößende, den Dämon. Ihr Tanz in der Asche der Toten mag Provokation sein. Es ist aber auch der Tanz einer Lebendigen, die im Angesicht des Todes nicht erstarrt, sondern die Angst vor dem Unbeständigen überwindet. Kali ist die Wirklichkeit. Sie ist absolutes Jetzt. So besiegt sie den Tod – und die Furcht vor ihm.

Kali-Ma, die Mutter

Kali wird auf verschiedene Weise verehrt. Manchmal auch in Form von Blutopfern (bali). Männliche Ziegenopfer und Eigenblutspenden sind auch heutzutage noch üblich.¹ Das besondere am Kali-Opfer ist, dass meist nicht geopfert wird, um sie zu besänftigen.

Kali ist nicht die autoritäre Kraft, die Dir im Nacken sitzt und schaut, ob Du alles „richtig“ machst. Kali hat vielmehr die Funktion der Mutter, die Dich in Krisen begleitet, wenn Du sie bedenkst.

Dein Blutopfer symbolisiert lediglich einen Teil Deiner Selbst, den Du der Göttin übergibst.

Kali is(s)t Transformation

offering to kali in kalkutta copyright by julia wunderlich
Offering: Reis in Bananenblättern, Hibiskus.

Und Kali? Was soll sie tun, mit dem Teil von Dir?

Genau, verdauen! Kali ißt die Nahrung (bhog), die Du  ihr opferst. Sie verdaut den Anteil in Dir, den Du selbst nicht bewerkstelligen kannst. Sie verdaut Dich, Deine Blockade, den Dämon in Dir. Sie transformiert Dein Ego, befreit Dich von Deinem Leiden.² Divine digestion, auf einmal ganz greifbar.

Kali und Ayurveda

Kali ist eng mit dem Verdauungs-Prinzip im Ayurveda verbunden: nicht (nur) was wir essen bestimmt uns, vielmehr das, was wir verdauen, was wir assimilieren können. Was wir nicht verdauen, blockiert uns, bringt Stagnation, Schwindel, Unruhe. Ganzheitliche oder „göttliche Verdauung“ ermöglicht uns erst: Transformation. Kali wirkt wie Triphala, maximal verdauungsfördernd.

Letting Go

kali puja in kalkutta ganga copyright by julia wunderlich
Kalis letzte, tosende Fahrt – vom Schrein zur Ganga hin.

Ich bin jetzt Mitte Dreißig. Manchmal erwischt mich die nackte Angst und atemlos frage ich mich: was habe ich in meinem Leben geschafft? Wo will ich hin? (Wie) Werde ich das erreichen? Wie wird sich unser Leben ändern, mit den steigenden Temperaturen, den wachsenden Kriegen um uns herum? Mit den Kriegen, die „wir“ führen?

Und dann weiß ich wieder: alles, was ich mir wünsche in meinem Leben ist Freiheit. Nicht die Freiheit, tun und lassen zu können, was ich will.

Sondern die Freiheit von „ich-muss-ich-sollte-ich-gehörte-ich-kann-nicht“-Blockaden und Grenzen. Ich möchte frei und mit großem offenen Herzen im Jetzt stehen. Verbunden mit der Veränderung und dem Chaos, das uns umgibt. Und aus dieser Kraft und Verbundenheit in die Aktion gehen. Die Dämonen verdauen.

Kali ist diese Freiheit. Kali hat Arsch in der Hose! Kali kann Flüchlingsboote aufnehmen, ohne sich hinten `rum der Rethorik von Pediga zu bedienen.

Sie ist ohne Furcht und Stolz. Sie ist nackt, direkt, echt.

Kali verdrägt nicht, negiert nicht das Dunkle. Sie ist aufrecht und aufmerksam mit sich verbunden. Sie nimmt Angst, Zorn, Zweifel als Teil von sich in sich auf. Und macht sich Blockaden zu eigen, um sie zu überwinden. Darum ist Kali mein liebstes Symbol im Hinduismus.

Und Du?

Was willst Du halten? Wovon willst Du Dich lösen? Wofür bist Du dankbar? Wie willst Du leben? Wie lieben? Was erschwert Deinen Weg?

Die Zeit um den Jahreswechsel eignet sich für ein Resüme oder Ritual.  Egal, ob Du Blockaden symbolhaft an Kali übergibst oder auf einem Zettel verbrennst oder laut in die Nacht hineinbrüllst oder in einer Meditation annimmst. Jetzt ist mehr denn je die Zeit unsere Dämonen zu verdauen und ins Neu, ins Jetzt zu gehen.

Kali ist unberechenbar, wie unser Leben selbst. Sie ist Symbol für den Tanz im Angesicht der Vergänglichkeit. Darum lehrt sie uns das Loslassen.

Jetzt. In diesem Augenblick.

Love, Ju

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Eine Kali-Statue wird nach der Kali-Puja in Kakutta traditionell der Ganga übergeben.

Wir können über indische Mythen und die Opferrituale denken, was wir wollen. Kali ist immer ein wunderbares Sinnbild, wenn wir im Leben nicht weiterkommen.

Wenn Du mehr über Kali wissen willst, empfehle ich Dir „The Sword and the Flute“ von David Kinsley zu lesen. Das Buch gibt es auch in deutscher Übersetzung.

¹, ² Suchita, Samantha: „The `Self-Animal´and Divine Digestion“.

2 Antworten zu “Die göttliche Verdauung, Transformation mal anders”

  1. Was für ein schöner Text! Ich finde es toll, dass im Ayurveda oder auch TCM immer alles Symbolkraft hat – Verdauung zB im doppelten Sinne. Oder eben auch Verstopfung. Muss man ja auch mal drüber sprechen 😉
    Deine Seite gefällt mir total gut.
    Liebe Grüsse, Anna

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    • Liebe Anna, vielen Dank.
      Und ja, der Blick auf die vielen Ebenen macht die ganzheitliche Sicht im Ayurveda und auch TCM aus. Auch deswegen liebe ich Ayurveda. Liebe Grüße nach Hamburg, Julia

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